SGAIM Teaching Award 2020: «Teaching ist keine One-Woman-Show»

Die Schweizerische Gesellschaft für Allgemeine Innere Medizin vergab in diesem Jahr den «SGAIM Teaching Award» an KD Dr. med. Sonia Frick, MME, Chefarzt Stellvertreterin stationäre Innere Medizin im Spital Limmattal. Sie setzt sich seit Jahren für die studentische Aus- und Weiterbildung des internistischen Nachwuchses ein.

Herzliche Gratulation zum diesjährigen SGAIM Teaching Award. Was bedeutet Ihnen dieser Preis?
Dieser Preis ist für mich die höchste Auszeichnung, die ich für meine Lehrtätigkeit je bekommen werde. Dementsprechend freut er mich ausserordentlich. Als ich der SGAIM vor ungefähr 25 Jahren beitrat, gab es dieses klare Statement zur Förderung der Lehre und Weiterbildung noch nicht. Der Preis ist deshalb auch ein Zeichen dafür, dass die SGAIM weiss, dass Lehre nicht einfach stattfindet, sondern dass sie gefördert werden muss, will man Nachwuchs mit einem hohen professionellen Niveau haben.

Was zeichnet eine gute Lehrperson Ihrer Meinung nach aus?
Das hängt vom Lehr-Format ab. Gibt jemand an einer grösseren Institution vor allem Vorlesungen oder schreibt didaktische Leitfaden, dann muss die Lehrperson «aus der Ferne» begeistern können. Sie muss Kompliziertes einfach darstellen können, die grossen Zusammenhänge ersichtlich machen, die sich nicht in Büchern lesen lassen, und sie muss die elektronischen Medien innovativ in die Didaktik einbauen. Im Gruppenunterricht dagegen, im klinischen Alltag etwa im kleinen "Gespann" am Patientenbett, ist Anderes gefragt: Da muss sie die Lernenden als einzelne Persönlichkeiten wahrnehmen. Es geht darum, die Didaktik flexibel dem Gegenüber anzupassen, um die Stärken der Lernenden gezielt zu fördern und die Lücken liebevoll aufzuzeigen. Natürlich ist das Lernen primär Sache der Lernenden – unsere Sache dagegen ist es, die Türe zu finden, durch welche das Wissen am besten in das Gedächtnis eintreten und darin gespeichert werden kann.

Sie haben den Master of Medical Education MME an der Universität Bern 2016 – 2017 absolviert und mit der Masterarbeit «Milestones, Entrustable Professional Activities, Portfolios: Was brauchen wir? Assessments im internationalen Vergleich und die Implikationen für das Weiterbildungscurriculum in Allgemeiner Innerer Medizin der Schweiz» erfolgreich abgeschlossen. Haben Sie eine Antwort darauf, was die zukünftigen Hausärztinnen und Spitalinternisten der Schweiz im Rahmen ihrer Aus- und Weiterbildung «brauchen»?
Die Anforderungen an unsere zukünftigen ÄrztInnen steigen: Die Medizin wird komplexer, die Therapiemöglichkeiten sind vielfältiger, und der Zeitdruck steigt. Umso wichtiger ist eine Weiterbildung, die inhaltlich auf mehreren Pfeilern steht: In der angelsächsischen Literatur redet man von «Knowledge, Skills and Attitude» als den drei Aspekten, auf denen medizinische Expertise beruht. Faktenwissen, Fertigkeiten und die professionelle Haltung gehören zusammen. Diese drei Aspekte sind in Frameworks wie dem kanadischen Kompetenzprofil der CANMEDs-Rollen abgebildet. Das gibt den Kompetenzen, die wir im medizinischen Alltag brauchen, Name, Inhalt und Struktur. An diesen Kompetenzen und den dazugehörigen Professional Activities (EPAS) kann ich nicht nur ablesen, wo ich in meinem Curriculum noch Lücken habe, was ich in mir noch fördern muss, sondern auch, wo meine Stärken liegen. Ich kann diese Kompetenzen also als ein «mapping» für meine ganz persönliche Entwicklung zur Ärztin einsetzen.

Durch die aktuelle SARS-CoV-2-Pandemie steht die Aus-, Weiter- und Fortbildung vor vielen Herausforderungen. Wie können Hausärztinnen und Spitalinternisten diesen begegnen?
Zu Beginn des Lockdowns wurden alle Aus-, Weiter- und Fortbildungsveranstaltungen abgesagt. Wir fielen in eine Veranstaltungsstarre, aus der wir erst einmal wieder erwachen mussten. Dann aber wurden wir kreativ – neue Teaching-Formate wurden entwickelt: KollegInnen in Bern ersetzten grosse Veranstaltungen durch kleine Gruppenteachings für Alltagssituationen, die mehrmals hintereinander durchgeführt wurden; damit konnten alle Hygienemassnahmen eingehalten werden. Ich selbst habe mit UnterassistentInnen Anamnese und Status aufgezeichnet (mit dem Einverständnis der Patientinnen und Patienten). Mit diesen Videos habe ich dann einen virtuellen Studentenunterricht gemacht. Dies hat uns allen grossen Spass gemacht, auch wenn die direkte physische Untersuchung nicht stattfinden konnte; der Lerneffekt lag in der Bearbeitung einer vollständigen Anamnese, Differentialdiagnose und Therapieansatzes. Die Initiative, die ich als letzte erwähnen möchte, bestand in sogenannten Shadowings, die von den SpezialistInnen der Inneren Medizin unseres Spitals angeboten wurden:  Studierende konnten in Zweiergruppen einen Morgen lang einen Kaderarzt in seinem Klinikalltag begleiten. Alle Angebote wurden freiwillig begeistert genutzt. Kreativität ist also gefragt. Was ich mir noch gewünscht hätte, wäre eine Austauschplattform über diese Teaching-Experimente, auf der wir Lehrkräfte unsere Erfahrungen mit den verschiedenen Engagements hätten teilen können.

Ein wichtiges Anliegen der SGAIM ist die Nachwuchsförderung. Was können bereits etablierte Fachpersonen zur Nachwuchsförderung beitragen?
Etablierte Hausärzte und Spitalärztinnen verfügen über einen riesigen Erfahrungsschatz. Dies ist ein grosses Potential. Teaching ist keine One-Woman-Show. Deshalb möchte ich meine KollegInnen zu zwei Dingen einladen: Schliessen Sie sich zu Teaching-Teams zusammen. So nutzen Sie das Wissen der anderen Person und können Ihre eigenen Stärken im Team einbringen, nicht zuletzt macht das Teaching so mehr Freude. Als Zweites empfehle ich, sich in die gängigen Lehrmethoden und Lernziele einzuarbeiten. Vieles kennen wir implizit. Lernziele, auch im «Skills and Attitudes»-Sektor, explizit und klar umrissen vor sich zu haben, ist heute unabdingbar.


Sie engagieren sich in der Weiterbildungskommission. Wie bringen Sie Ihre vielen professionellen Engagements mit dem Engagement für die SGAIM unter einen Hut?
«Make it count twice», habe ich in meinem Master-Studium gelernt. Die verschiedenen Engagements profitieren voneinander: Durch die Entwicklung des neuen Lernzielkatalogs zum Beispiel kann ich die Inhalte der Weiterbildung in AIM mitbestimmen, ich sehe, was meine AssistentInnen wissen müssen und wo die Schwierigkeiten liegen. Dazu erlebe ich die Weiterbildungskommission eine dieser oben erwähnten Teams: für die Kollegen dieses Gremiums ist die Weiterbildung ebenso eine Herzensangelegenheit wie für mich. Ihr Engagement und unsere gemeinsamen Projekte inspirieren mich in meiner Arbeit als Teacher – das alles führt dazu, dass meine Energiebilanz meist ausgeglichen ist!