SGAIM Teaching Award 2019: «Bei negativen Feedbacks sinkt erwiesenermassen die Lernbereitschaft»

Die SGAIM verlieh an ihrem Herbstkongress in St. Gallen den diesjährigen Teaching Award an KD Dr. med. Elisabeth Weber, stv. Chefärztin der Inneren Medizin am Stadtspital Triemli. Elisabeth Weber setzt sich seit Jahren mit Nachdruck und viel Herzblut für die Ausbildung des internistischen Nachwuchses ein und bringt auch neue Formate in die ärztliche Weiterbildung.

Dr. med. Elisabeth Weber

Sie haben den diesjährigen Teaching Award erhalten. Ganz herzliche Gratulation. Was bedeutet Ihnen dieser Preis?

Vielen Dank. Es freut mich zu sehen, dass die in den klinischen Alltag eingebaute Lehre honoriert wird. Es ist nicht einfach, der Aus- und Weiterbildung von angehenden Ärztinnen und Ärzten am Arbeitsplatz gerecht zu werden. Die Zeit fehlt, der Stress und der Druck sind gross – ich versuche dem mit kleinen Einheiten gerecht zu werden. Scheinbar ist mir dies bis anhin nicht schlecht gelungen, darauf bin ich stolz.

 

Was zeichnet Ihrer Meinung nach eine gute Lehrperson aus?

Authentizität und Vorbild – nur so können Menschen begeistert, motiviert und unterrichtet werden. Damit meine ich echte Begeisterung zeigen, eigene Zweifel thematisieren und Diskussionen zulassen – diese «Echtheit» schafft den besten Boden für ein gutes Lernklima. Vorbilder motivieren zum Lernen.

 

In der Nominierung wird hervorgehoben, dass Sie sich für eine motivierende Feedback-Kultur einsetzen. Was verstehen Sie darunter?

Pointiert und etwas vereinfacht könnte man sagen: ich gebe nur positive Feedbacks und versuche, dies vorzuleben und unser Kaderteam dahingehend zu motivieren. Feedbacks sind ungemein wichtig – es ist ein Blick von aussen, der einen weiterbringt, den blinden Fleck aufdeckt. Aber es ist auch so, dass bewiesenermassen die Lernbereitschaft sinkt, wenn negative Rückmeldungen gegeben werden – es ist intuitiv schwierig zu verstehen, wie ohne Kritik Entwicklungspotential aufgezeigt werden kann. Gerade deshalb versuche ich dafür zu sensibilisieren und geeignete Hilfsmittel in den Klinikalltag zu integrieren, wie Feedbacks stets konstruktiv und wertschätzend – ohne destruktive Komponente – gegeben werden können.

 

Wichtig ist Ihnen auch die Karriereförderung weiblicher Kaderärztinnen. Ist das heutzutage noch nötig?

Das fragen Sie mich im Ernst? Die Zahlen von 2018 sprechen eine klare Sprache: 58% der Assistenzärzte sind Frauen – von hier nimmt der Frauenanteil auf der Hierarchiestufe rapide ab: Leitende Ärztinnen 24%, Chefärztinnen 12%. Wir verlieren diese gut ausgebildeten und motivierten Ärztinnen. Das ist sehr schade und ich setze mich deswegen dafür ein, dass neue Karrieremodelle etabliert werden mit Teilzeitstellen und kreativen Ansätzen, wie Karriere im Spital als Internistin gemacht werden kann – auch ausserhalb des akademischen Tracks. Viele Frauen gehen andere Wege, die für Lehre und Klinik sehr gewinnbringend sind. Dazu motiviere ich die Oberärztinnen und unterstütze sie individuell. Nicht zuletzt möchte ich auch darin Vorbild sein und habe bis anhin Familie und Karriere ganz gut unter einen Hut gebracht.

 

Was motiviert Sie, die Dreifachrolle als stv. Chefärztin, klinisch tätige Ärztin und Lehrperson auszuüben?

Die Abwechslung, die Vielseitigkeit – es wird mir nie langweilig. Ich weiss aus meiner Vergangenheit wie es sein kann, einer Arbeit nachzugehen, bei der man um 8 Uhr auf die Kaffeepause wartet und ab dem Mittag nur noch den Feierabend herbeisehnt. Mein Alltag ist zwar eine Herausforderung, dafür aber abwechslungsreich, immer anders und auch immer wieder überraschend.  Ich untersuche einen Patienten selber gerne von Kopf bis Fuss und freue mich, genau diese klinische Tätigkeit ein andermal zu unterrichten. Die Projektarbeit als stellvertretende Chefärztin ist aufreibend aber interessant – auch darauf möchte ich nicht verzichten. Es ist ja nicht so, dass an mich verschiedene Ansprüche gestellt werden und ich allen Rollen gerecht werden soll, sondern vor allem so, dass ich durch diese verschiedenen Aufgaben auch immer wieder anderen Ideen, Menschen und Herausforderungen begegne – damit bleibe ich kreativ und flexibel.

 

In den Feedbacks der auszubildenden Ärztinnen und Ärzte erhalten Sie immer Bestnoten beim Punkt «Ist im Umgang mit Studierenden freundlich und aufgeschlossen». Ein Paradigmenwechsel im hierarchischen Umgang?

Ohne Freundlichkeit und Aufgeschlossenheit soll man nicht unterrichten, im Gegenteil: man muss Menschen mögen und dabei auch ehrliches Interesse am Gegenüber haben. Das hilft, die Menschen zu verstehen und die Begegnungen werden damit lehrreicher für beide Seiten. Für mich ist das nicht ein Paradigmenwechsel: wenn ich an meine Lehrer zurückdenke, sind es diejenigen, welche freundlich und aufgeschlossen waren, die mich nachhaltig geprägt haben. Ich habe von denjenigen Menschen am meisten gelernt, die an mir interessiert waren und sich kritisch und wohlwollend mit mir auseinandergesetzt haben. Ich denke, die Bewertung drückt einfach aus, dass ich für die Studierenden nah- und fassbar bin.

 

Welche Herausforderungen kommen auf die Lehrtätigkeit in der Allgemeinen Inneren Medizin zu?

Die Innere Medizin als Zentrumsdisziplin in einer immer weiter spezialisierten Medizin muss explizit dieser Rolle im Sinne einer optimalen und individuellen Patientenbetreuung gerecht werden. So müssen Ärzte ausgebildet werden, die in zentraler Funktion den Patienten vor Über-, Unter- und Fehlversorgung schützen und dabei den Grundsatz der Wirksamkeit, Zweckmässigkeit und Wirtschaftlichkeit verfolgen. Entsprechend müssen die jungen Internisten vorbereitet und ausgebildet werden: Es sollen integrative und teamfähige Persönlichkeiten sein, denn die Therapieoptionen müssen interdisziplinär im Team mit den Spezialisten abgesprochen werden. Es braucht Ärztinnen und Ärzte mit grosser Empathie und Blick für das grosse Ganze, denn der Patient muss in seinem ganzen psychosozialen Kontext wahrgenommen und beraten werden. Die Internisten müssen zudem eine Leaderfunktion übernehmen können, sie halten die Fäden zusammen und führen das Behandlungsteam wie Spezialisten oder Pflege an. Und – last but not least – ist ein grosses und fundiertes Fachwissen unabdingbar, um die Diskussionen mit den Spezialisten auf hohem Niveau zu führen, Hypothesen zu verifizieren und dabei auch die Rolle der kritisch Hinterfragenden zu übernehmen. Alle diese persönlichen und fachlichen Kompetenzen müssen vorgelebt, gelehrt und gefördert werden. Dies muss im Alltag geschehen und erfordert entsprechend hohen persönlichen Einsatz von allen Ausbildnern – eine echte Herausforderung. Der Gewinn: in dieser Gesamtheit macht die Innere Medizin Freude.

 

Eine zentrale Säule der SGAIM ist die Nachwuchsförderung. Welche sind Ihre besten Argumente, junge Studentinnen und Studenten für die Allgemeine Innere Medizin zu gewinnen?

Ich habe den Eindruck, dass die Allgemeine Innere Medizin bei den Studierenden gar nicht explizit beworben werden muss – im Studienalltag wird so oder so klar, was für eine zentrale Funktion wir Internisten einnehmen und viele junge Ärztinnen und Ärzte können sich eine Ausbildung ohne fundiertes Wissen in der Allgemeinen Inneren Medizin gar nicht vorstellen. Schwieriger in der Nachwuchsförderung erscheint mir, wie die jungen Kolleginnen und Kollegen überhaupt in der Allgemeinen Inneren Medizin gehalten werden können, viele wandern ab in Spezialdisziplinen oder in den ambulanten Bereich. Leider ist in meinen Augen die reine Innere Medizin im Spital etwas profillos und so für die jungen Ärzte perspektivenlos geworden. Da sollte angesetzt werden: Wir zeigen mutig unser Gesicht als Allgemeininternisten (wie es die SGAIM-Kampagne vorlebt) und es sollen kreative Karriereoptionen – auch für Rein-Internisten – geboten werden. Dazu sollen konkrete Massnahmen ausgearbeitet werden. So gewinnt die Arbeit als Internistin an Attraktivität, Perspektiven und motiviert die jungen Kolleginnen und Kollegen, eine Karriere in der Inneren Medizin zu verfolgen – davon bin ich überzeugt.

 

 

Zur Person

KD Dr. med. Elisabeth Weber arbeitet seit 2012 als Kaderärztin im Team der Klinik für Innere Medizin Triemli am Stadtspital Triemli in Zürich, seit anfangs 2018 in der Funktion der stellvertretenden Chefärztin. Während all dieser Jahre hat sie sich in hohem Masse für die Weiterbildung der Assistentinnen und Assistenten im Triemli aber auch für die studentische Ausbildung an der Medizinischen Fakultät der Universität Zürich eingesetzt. Dieses Engagement wurde im Jahre 2017 aufgrund der expliziten Qualifikation von Elisabeth Weber in Didaktik, Weiterbildung, Projektarbeit und entsprechenden Feedbacks mit der Verleihung des Titels Klinische Dozentin (KD) honoriert. Ganz besonders engagiert sich Elisabeth Weber in der Aus- und Weiterbildung der ärztlichen Kommunikation: sei es als Dozentin im Gruppenunterricht in psychosozialer Medizin oder als wöchentliche Visitenbegleiterin der Assistenzärztinnen und Assistenzärzte zum wichtigen Thema der Visitenkommunikation. Dieses Jahr wird zudem unter ihrer Leitung erstmalig ein Kurs zum Thema Spezialsituationen in der Kommunikation im Spital durchgeführt. Sie macht sich des Weiteren für neue Wissensvermittlungsformate stark, für eine motivierende Feedbackkultur, für Selbstreflexion sowie Mentoring und Förderung von Kaderärztinnen.