«Weltweite Phänomene wirken sich auch auf die medizinische Praxis aus»

Am 20. und 21. September wird in Montreux der 2. Herbstkongress der SGAIM (SwissFamilyDocs / Great Update) stattfinden. Nicolas Senn, Co-Präsident des wissenschaftlichen Komitees, erklärt in diesem Interview, weshalb das Thema nachhaltige Entwicklung so wichtig für die Medizin ist. Und wir erfahren anhand von Highlights aus dem Programm, weshalb es sich lohnt, an diesem Kongress in Montreux teilzunehmen.

Professor Nicolas Senn leitet gemeinsam mit Doktor François Héritier das wissenschaftliche Komitee des 2. Herbstkongresses der SGAIM, der dieses Jahr in Montreux stattfindet. Nicolas Senn ist Direktor des «Institut universitaire de médecine de famille (IUMF)» in Lausanne.

Das wissenschaftliche Komitee stellt am Kongress in Montreux das Thema Nachhaltigkeit ins Zentrum. Welche Aspekte der Nachhaltigkeit sollen zur Sprache kommen und was haben diese mit dem Berufsalltag der Ärztinnen und Ärzte zu tun?


Nicolas Senn (NS): Die nachhaltige Entwicklung der Medizin ist eine der entscheidenden Herausforderungen für unser Gesundheitssystem. Wir haben es mit Fragestellungen zu tun, die sich auf verschiedenen Ebenen ergänzen. Zunächst einmal geht es um die Nachhaltigkeit des Gesundheitssystems insgesamt, mit den Aspekten Finanzierung, Entwicklung personeller Ressourcen oder auch Angemessenheit der klinischen Empfehlungen. Die Schweizerische Akademie der Medizinischen Wissenschaften (SAMW) hat schon vor einigen Jahren ein Dokument veröffentlicht, das auf diese Elemente eingeht [1]. Aus noch grösserem Blickwinkel bedeuten auch die weltweiten klimatischen und demografischen Veränderungen Herausforderungen hinsichtlich einer nachhaltigen Entwicklung im medizinischen Bereich. Diese weltweiten Phänomene wirken sich ganz real auf die medizinische Praxis aus und werden dies auch weiterhin tun. In diesem Zusammenhang ist eine wichtige Arbeit aus der Zeitschrift Lancet aus dem Jahr 2009 zu erwähnen [2], die bereits damals die Auswirkungen des Klimawandels auf die Gesundheit thematisierte. Und schliesslich kann die nachhaltige Entwicklung auch eine sehr lokale Form im Rahmen der Arbeit von Ärztinnen und Ärzten annehmen – sei es im Spital oder in der Praxis: Wie kann ich die Behandlungsstruktur bei meiner täglichen Arbeit unter Nachhaltigkeitsgesichtspunkten organisieren und insbesondere ressourcenschonend arbeiten, auf gute klinische Praxis achten und auch die Lebensqualität der Ärzt/-innen und des Pflegepersonals im Blick behalten? Bei all diesen Aspekten geht es offensichtlich um Nachhaltigkeit in der Medizin. Dies wird der rote Faden sein, der sich durch den Kongress im Herbst zieht. Diese Thematik findet sich nicht nur in bestimmten Präsentationen im Plenum wieder, sondern auch in einer Reihe von acht Workshops, die sie aus unterschiedlichen Blickwinkeln beleuchten.

Der Herbstkongress findet erst zum zweiten Mal statt und das Format ist relativ neu. Auf welche Punkte haben Sie bei der Zusammenstellung des Programms im wissenschaftlichen Komitee besonders geachtet? Welche Zielgruppe möchten Sie ganz besonders ansprechen?

 

NS: Dies ist eine grosse Herausforderung, die sich aus der Zusammenführung unserer beiden Fachgesellschaften, der Schweizerischen Gesellschaft für Allgemeine Innere Medizin (SGIM) und der Schweizerischen Gesellschaft für Allgemeinmedizin (SGAM), ergeben hat. Insbesondere was die Fortbildungskongresse angeht, erschien es notwendig, unsere Ressourcen zu bündeln. In dieser zweiten Ausgabe des Herbstkongresses der SGAIM werden die beiden bisherigen Veranstaltungen Swiss Family Docs und Great Update weitergeführt. Der Kongress wendet sich also an alle Internist/-innen und Allgemeinmediziner/-innen, die im Spital oder in einer Arztpraxis tätig sind. Wir hoffen, dass wir ein Programm anbieten, das es Ärztinnen und Ärzten mit unterschiedlichen Hintergründen gestattet, rund um gemeinsame Themen zusammen zu finden. Gleichzeitig haben wir aber in jedem Fall darauf Wert gelegt, auch auf die jeweiligen Besonderheiten einzugehen.

Der Herbstkongress bietet – ganz in der Tradition der beiden Vorgängerveranstaltungen SwissFamilyDocs und Great Update – auch eine Reihe von praxisnahen Workshops und Updates an? Was kann man dort lernen und wie gross ist Spannweite der Themen?

 

NS: Auch wenn wir natürlich einen roten Faden rund um die nachhaltige Medizin haben wollten, werden diejenigen, die die früheren Veranstaltungen kennen, auch hier Workshops und die klassischen Themen wiederfinden. Mit Themen wie Antibiotikatherapie, Osteoporosebehandlung oder Palliativpflege werden wir in traditioneller Weise auf neue Entwicklungen in der klinischen Praxis eingehen. Es wird auch Workshops zu spezifischeren Themen geben, wie der stationären Inneren Medizin, der psychosomatischen Medizin und der Mutter-Kind-Gesundheit. Und schliesslich wird es mit sieben Workshops, die die Jungen Hausärztinnen und -ärzte Schweiz (JHaS) eigens eingerichtet haben, auch eine wichtiges Angebot für jüngere Ärzt/-innen geben.

 

Gibt es einen Beitrag oder eine eingeladenen Rednerin / einen Redner, auf den oder die Sie sich ganz besonders freuen? Welche Highlights sollte man auf keinen Fall verpassen?

 

NS: Da gibt es eigentliche mehrere. Zu Beginn des Kongresses findet eine Konferenz statt, die den Geist der Nachhaltigkeit und Offenheit dieses Kongresses und seine Ausrichtung auf die weltweiten Herausforderungen im Gesundheitsbereich gut widerspiegelt. Der bekannte Waldspezialist Professor Ernst Zürcher wird darüber sprechen, wie wichtig die Bäume für das Klima und die Gesundheit der Menschen sind.
Zu beachten ist auch ein spezielles Symposium am Donnerstagnachmittag, das auf neue Technologien in der Hausarztmedizin und auf deren Auswirkungen auf das Verhältnis zwischen Ärzt/-innen und Patient/-innen eingeht. Dieses Symposium ist ein Gemeinschaftsprojekt des Instituts für Psychologie der Universität Lausanne, der Leenaards-Stiftung und des Instituts für Hausarztmedizin in Lausanne. Hier kann man nicht nur Rednerinnen und Redner mit unterschiedlichen Hintergründen (vom Ingenieurwesen bis zur Philosophie) hören, sondern auch eigene Überlegungen zu den Auswirkungen neuer Technologien im Gesundheitswesen auf unsere medizinische Praxis einbringen.
Zum Abschluss des Kongresses am Freitag haben wir eine spannende Konferenz mit der Anthropologin Professor Clara Chandler vorgesehen. Sie wird über das komplizierte Verhältnis sprechen, das wir als Ärztinnen und Ärzte zu Antibiotika haben.
Lassen Sie mich auch noch auf den das aussergewöhnliche Konzert der Big Band du Flon zum Auftakt des Kongresses hinweisen. Für Montreux, das ganz im Zeichen des Jazz steht, war das die natürliche Wahl!


Ein zweitägiger Kongress sollte den Teilnehmenden auch die Möglichkeit bieten, sich auszutauschen und zu vernetzen. In diesem Zusammenhang spielt auch das Rahmenprogramm eine wichtige Rolle. Was ist in dieser Hinsicht vorgesehen?

 

NS: Ich glaube, dass das wirklich eine der Stärken einer derartigen Veranstaltung ist. Die Teilnehmenden haben hier die Chance, sich auf ganz unterschiedlichen Ebenen zu treffen. Zunächst einmal ist dies zwischen den einzelnen Sitzungen möglich. Die Teilnahme am Abendessen an symbolträchtigem Ort – Chaplin’s World – bietet dann einen weniger offiziellen Rahmen. Wer früh aufstehen mag, hat schliesslich die Gelegenheit, sich vor Kongressbeginn an einem kleinen Jogging am Morgen zu beteiligen.

Informationen über den Kongress
Alle Informationen zum Programm und zur Organisation des 2. Herbstkongresses der SGAIM (SwissFamilyDocs / Great Update) finden Sie auf www.sgaim.ch/hk18.

Sie können sich unter diesem Link auch zum Kongress selbst, zum Besuch von Chaplin‘s World in Vevey und zum Abendessen am Donnerstag sowie zum Lauf am Freitagmorgen anmelden.

SGAIM-Lounge am Kongress

Die SGAIM ist am Herbstkongress wieder mit ihrer eigenen Lounge präsent (Stand Nr. 2 in der Industrie-Ausstellung). Nebst bequemen Sitzgelegenheiten und einer Auswahl von erfrischenden Getränken – insbesondere von Tee und Kaffee – bietet die SGAIM-Lounge noch ein paar weitere Extras.
Mehr Informationen: www.sgaim.ch/lounge


Bio-Box
Professor Nicolas Senn leitet gemeinsam mit Doktor François Héritier das wissenschaftliche Komitee des 2. Herbstkongresses der SGAIM, der dieses Jahr in Montreux stattfindet. Nicolas Senn ist Direktor des «Institut universitaire de médecine de famille (IUMF)» in Lausanne.
Literatur:
1 https://www.samw.ch/de/Projekte/Nachhaltiges-Gesundheitssystem.html

2 Costello A, Abbas M, Allen A, Ball S, Bell S, Bellamy R, et al. ing the health effects of climate change: Lancet and University College London Institute for Global Health Commission. Lancet. 2009;373:1693–733.